Der Wahlkreis Hamburg-Altona ist ein sehr umstrittener Bezirk. Die CDU gewann ihn 2005, 2009, 2013, die SPD 2017. Bei der Bundestagswahl 2021 ging dieser traditionsreiche Wahlkreis ziemlich überraschend zum ersten Mal an Bündnis 90/Die Grünen. Linda Heitmann holte 29,7 Prozent der Erststimmen.
Im Interview spricht sie über ihre Beweggründe, sich in der Politik zu engagieren, einen Wahlkampf unter besonderen Herausforderungen und ihre Wünsche für den Wahlausgang.
Das ist Linda Heitmann:
Jahrgang 1982, in Hamburger geboren, Studium der Politikwissenschaft und Geographie in Hamburg und Cork (Irland), Abschluss mit Diplom (2008). Schon während des Studiums wird Heitmann 2006 Vorsitzende der Grünen Jugend, zwei Jahre später ist sie bereits Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft (Sprecherin für Gesundheit, Drogenpolitik, Gleichstellung und Jugendpartizipation). Es folgten weitere Ämter, seit 2021 ist Linda Heitmann als Mitglied des Deutschen Bundestages unter anderem Sprecherin der Grünen Fraktion im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz sowie Ausschuss für Gesundheit.
Linda Heitmann sitzt seit 2021 im Deutschen Bundestag. Foto: Bündnis 90/Die Grünen Hamburg
Was reizt Sie an der Politik?
Linda Heitmann: Mich reizt es, die Rahmenbedingungen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens mitzugestalten, statt nur zu meckern, wenn mir etwas nicht passt. Es macht mir dabei tatsächlich Freude, konkret Gesetze und Verordnungen auszuarbeiten, mich in Details von Paragrafen zu vertiefen und genau auszuloten, was möglich ist, um Dinge besser zu machen. Mir ist es wichtig, dabei auch eine Stimme für jene zu sein, die oft zu wenig politisch gesehen werden, weil sie keine starke Lobby haben. So setze ich mich in meinen Themenfeldern beispielsweise besonders für Menschen mit Suchterkrankung, Behinderung oder Sprachbarrieren sowie für den Schutz unserer Umwelt ein.
Warum sind Sie Politikerin geworden?
Linda Heitmann: Ich habe schon immer ein starkes Gerechtigkeitsempfinden gehabt und damit vor fast 20 Jahren bei den Grünen meine politische Heimat und Gleichgesinnte gefunden. Hier gab und gibt es die Möglichkeit, eigene Ideen immer wieder einzubringen, weiterzuentwickeln und im Idealfall am Ende tatsächlich umzusetzen. Dabei habe ich gelernt, dass jede einzelne Veränderung meist ein langes Ringen braucht, bis sie zum Erfolg wird. Dafür habe ich aber einen langen Atem und Geduld – nicht zufällig bin ich auch Langstreckenläuferin.
Warum engagieren Sie sich bei den Grünen?
Linda Heitmann: Für mich sind die Grünen die Partei, die ihre Konzepte langfristig denkt und für kommende Generationen Politik macht, nicht nur für die nächsten 4 Jahre. Wir haben einen klaren Kurs zum Schutz unserer Umwelt und Natur, in wichtigen Gerechtigkeitsfragen und gegen Diskriminierung. Die Grünen führen keine Abwehrkämpfe, sondern wollen die Zukunft in dieser vielfältigen Gesellschaft, die wir sind, positiv gestalten. Davon bin ich gerne Teil.
Was hat Sie zur erneuten Kandidatur für den Bundestag bewogen, haben Sie nach dem Aus der Ampel gezögert?
Linda Heitmann: Für mich stand schon vor dem Bruch der Koalition fest, dass ich meine Arbeit im Bundestag weiterführen möchte. Das Aus der Ampel hat daran nichts geändert, sondern mich eher noch mehr motiviert, auch in der nächsten Wahlperiode wieder mitzugestalten. Denn die Arbeit im Bundestag macht mir riesigen Spaß und ich habe die Hoffnung, dass wir dort künftig konstruktiver arbeiten. Insbesondere im letzten Jahr der auseinandergebrochenen Regierungskonstellation war das Zusammenarbeiten sehr zäh und unbefriedigend.
Wie herausfordernd sind die aktuellen Zeiten für Politikerinnen und Politiker?
Linda Heitmann: Menschen in der Politik stehen aktuell vor vielen Herausforderungen: Auf der Welt passiert enorm viel, auf das oft innerhalb kürzester Zeit reagiert und eine Positionierung gefunden werden muss. Gleichzeitig müssen und wollen wir Politiker*innen auch den Fokus auf unserer Arbeit vor Ort haben und Dinge hier langfristig voranbringen. Diese Legislatur sind wir mitten in der Corona-Pandemie gestartet und es kamen zwei Kriege hinzu, die deutliche Auswirkungen auch in unsere Gesellschaft hinein haben. Mir hilft es, immer wieder mal in Ruhe durchzuatmen, von außen darauf zu schauen, wie gut es uns im weltweiten Vergleich geht und mit Zuversicht in die Umsetzung unserer grünen Zukunftsideen zu gehen. Gleichzeitig ist Politikerin sein auch deshalb herausfordernd, weil fast alle – auch im persönlichen Umfeld – immer über Politik sprechen möchten, während man selbst gern mal eine Pause davon hätte. Es gibt eine Erwartung von ständiger Erreichbarkeit über Handys, Messenger und soziale Medien. Da muss man sich konsequent Zeit zum Abschalten nehmen und Prioritäten setzen.
Welchen Einfluss hat das Aus der Ampel auf Ihren Wahlkampf?
Linda Heitmann: Der Bundestagswahlkampf ist vorgezogen worden und vermischt sich dadurch in Hamburg mit dem Bürgerschaftswahlkampf. Es ist noch einmal schwerer, dabei Landes- und Bundesthemen auseinanderzuhalten. Organisatorisch ist es eine Herausforderung für alle Engagierten und Ehrenamtlichen, zwei Wahlkämpfe gleichzeitig zu stemmen. Wobei ich auch weiß, dass sich viele darauf freuen, den kommenden Sommer dafür dann Wahlkampf-frei zu haben.
Was haben Sie persönlich beim Ende der Koalition gedacht?
Linda Heitmann: Ich habe schon eine Erleichterung gespürt, da lange nicht klar war, wie es weiter geht. Die FDP hat immer aktiver verhindert, dass wir unsere Arbeit vernünftig machen können. Gegen Ende war es sehr zäh und mühsam. Mit Bruch der Koalition herrschte dann endlich Klarheit und ich war froh, dass dabei auch öffentlich so deutlich wurde, dass die FDP weder zur Zusammenarbeit noch Kompromissfindung fähig und willens war.
Ist der verkürzte Bundestagswahlkampf eine Chance oder eher eine Herausforderung?
Linda Heitmann: An sich ist die aktive Wahlkampfphase gleich lang, aber klar – es fehlt die Vorbereitungszeit. Mein Kreisverband in Altona hat aber in sehr kurzer Zeit umgeschaltet und direkt begonnen, den Bundestagswahlkampf mit zu planen. In Hamburg haben wir noch einmal die besondere Herausforderung des Doppelwahlkampfs. Das führt zu vielen Gesichtern auf Hamburgs Plakaten und macht es nochmal schwerer, Landes- und Bundesebene auch in den politischen Zuständigkeiten auseinanderzuhalten. Insgesamt bin ich aber für beide Wahlen für uns als Grüne zuversichtlich.
Es gab viele Stimmen, die die Bundestagswahl noch früher ansetzen wollten. Wie sehen Sie das?
Linda Heitmann: Es gibt zahlreiche gesetzliche Fristen und Regelungen, die eingehalten werden müssen. Eine noch frühere Wahl wäre aus meiner Sicht kaum möglich gewesen: Es hat sich schnell gezeigt, dass die Zeit beispielsweise für die Listenaufstellungen der Parteien und die Vorbereitung der Briefwahl auch gebraucht wird. Letztlich wurde nach Wochen der Unsicherheit Anfang Dezember eine Entscheidung getroffen. Ich war vor allem froh, als der Termin dann endlich feststand und das wochenlange Hin und Her um den perfekten Termin vorbei war.
Was erwarten Sie von den Wahlen im Bund und in Hamburg?
Linda Heitmann: Ich freue mich natürlich, wenn möglichst viele Menschen wählen gehen und demokratischen Parteien ihre Stimme geben. Wir brauchen ein starkes Signal für die Demokratie! Hamburg hat die Chance, sich als Safe Space zu beweisen – als ein Ort, an dem alle Menschen, die Teil dieser Gesellschaft sind, sicher und angstfrei leben können. Ich will mit dafür zu sorgen, dass die rechten Parteien mit ihren menschenverachtenden Ideologien ein möglichst kleines Ergebnis einfahren. Ich hoffe, dass die Hamburger Weltoffenheit, die ich täglich erlebe, auch auf die Bundestagswahl abstrahlt.
Wenn Sie öffentliche Auftritte zum Beispiel bei Info-Ständen haben: Was erleben Sie im Kontakt mit Bürgerinnen und Bürgern?
Linda Heitmann: In der Regel sind die Menschen sehr offen und interessiert. In Hamburg erlebe ich viel Zuspruch für unsere grüne Politik und unsere Ideen sowie auch Respekt vor der Arbeit, die insbesondere unsere Grünen Minister*innen und Senator*innen die letzten Jahre geleistet haben. Die Menschen möchten viel über grundlegende Probleme, wie die Zukunft der Pflege oder eine verlässliche Finanzierung des Gesundheitssystems, sprechen. Aber auch Themen aus ihrem Alltag, wie Wohnen und Mobilität, beschäftigen die Menschen besonders in meinem Wahlkreis Altona. Insgesamt erlebe ich aber auch eine immer stärkere Polarisierung, nur wenige Menschen scheinen unentschlossen. Personen die einem ablehnend gegenüberstehen, lassen sich immer schwerer durch Argumente erreichen.
Welche inhaltlichen Schwerpunkte legen Sie persönlich für Ihre Kandidatur?
Linda Heitmann: In der letzten Legislatur habe ich die Themen Umweltpolitik, Verbraucherschutz sowie Gesundheits- und Drogenpolitik bearbeitet. Hier bringe ich viel mit, auch aus meinen beruflichen Vorerfahrungen, und möchte auch in der nächsten Legislatur wieder an diesen Themen im Bundestag mitwirken. Gleichzeitig ist mein Wahlkreis sehr urban, weshalb ich einen besonderen Blick darauf habe, wie sich Altona weiterentwickelt – speziell in den Bereichen Wohnen und Mobilität. Diese Themen habe ich als direkt gewählte Abgeordnete ebenfalls auf dem Schirm und bin mit meinen Kolleg*innen im Bundestag, die sie bearbeiten, im stetigen Austausch.
Was wünschen Sie sich für die nächsten Wochen für den Wahlkampf für Sie persönlich und für die Partei?
Linda Heitmann: Natürlich wünsche ich mir einen fairen Wahlkampf, auch in Altona, und dass ich wieder das Direktmandat für meine Partei gewinnen kann. Dabei will ich mit meinen Inhalten und meiner politischen Erfahrung überzeugen, anstatt andere Kandidierende oder demokratische Parteien schlecht zu machen. Für mich persönlich und für meine Familie wünsche ich mir, es in den nächsten Wochen und in der nächsten Legislatur zu schaffen, regelmäßig Zeitfenster für eine Joggingrunde im Klövensteen freizuschaufeln oder um mal einen Tag an der Nordsee durchzuatmen und dabei das Handy wegzulegen.
Frau Heitmann, vielen Dank für das Gespräch.